Die Bixlschinder von der Glasfachschule Zwiesel
Seit ihrer Gründung i.J. 1904 konzentrierte sich die Ausbildung der Schüler der Glasfachschule Zwiesel auf Glasveredelung und -design sowie auf Vermittlung theoretischer Kenntnisse in Physik, Chemie, Technologie und von kaufmännischem Wissen. Erst mehr als 50 Jahre später, anno 1957, erkannte man die Notwendigkeit zur Inbetriebnahme eines Hüttenbetriebes. Dies war die Geburtsstunde der Versuchsglashütte mit einem Dreihafenofen. Die Möglichkeit zur Herstellung eigenen Rohglases und für praktische Übungen am Glasofen war damit eröffnet.
So konnten sich fachschulspezifische aber auch individuelle Stilrichtungen im Glasblasen und Glasguss, deren auffälligste Vertreter Bernhard Schagemann und Alois Wudy waren, entwickeln. In der Versuchsglashütte, später auch als Glaswerkstatt und zuletzt als Glasmanufaktur bezeichnet, wurden nach Entwürfen von Bernhard Schagemann u.a. auch eigene Erzeugnisse für den Verkauf durch die Fachschule selbst hergestellt.
Das Herz jeder Glashütte – so auch hier – aber sind unabdingbar deren Glasmacher, Schmelzer und Helfer, also der Glashandwerker. Von ihrem Können hängt es ab, ob die Ausführung künstlerischer Entwürfe gelingt. Wenn Glashandwerker selbst noch einen Hang zu gestalterischem Tun besitzen, ist ein Idealzustand erreicht.
Der erste dieser Glashandwerker an der Versuchsglashütte der Glasfachschule (GFS) Zwiesel war Josef Rankl, ein Glasmacher mit unermeßlichem Erfahrungsschatz. Der 1911 in Frauenau Geborene erlernte sein Handwerk in der Glashütte Gistl, Frauenau, und hatte dort in Fritz Geier sen. einen prägenden Lehrmeister. Rankl ist viel in der Glashüttenwelt herumgekommen. Nachdem er seine Kenntnisse als Glasmacher zunächst in seiner Heimatregion in den Glashütten Gistl, Freiherr von Poschinger und Spiegelau erlernt und vertieft hatte, begab er sich auf Wanderschaft. In den glasaffinen Orten und Regionen Kufstein, Fichtelgebirge mit den Orten Bischofsgrün und Warmensteinach sowie im Rheinland bildete sich Josef Rankl weiter fort. So kam es nicht von ungefähr, daß man diesem Glasfachmann 1957 die Leitung der Glaswerkstatt anvertraute.
Dieser Umstand war im Rückblick eine glückliche Fügung für Liebhaber und Sammler von Schnupftabakbüchsln. „Geimpft“ von dem Altmeister der Bixlmacher, Fritz Geier sen. bei Gistl, fand Rankl nun Zeit und Muße, sich der Bixlfertigung zu widmen. Er beherrschte – was Wunder – viele Techniken, entwickelte sich aber zum Spezialisten für hervorragende Mascherlbüchsl, die heute jedoch rar und von Sammlern gesucht sind. Josef Rankl ging 1974, nach 17 Jahren an der GFS, in Rente.
Luitpold „Leo“ Eiginger, geb. 1932, erhielt Anfang der 1960er Jahre ein Arbeitsangebot von der GFS. In der Folge arbeitete er mit dem Rankl Sepp bis zu dessen Eintritt in den Ruhestand zusammen und wurde so mit dem Bixlvirus infiziert. Über 30 Jahre lang in der Glaswerkstatt erlebte er die großen Meister Josef Rankl, Max Straub und Richard Seidl. So verwundert es die „Bixlfachwelt“ nicht, daß wunderbare Mascherl aus seiner Hand bzw. von seiner Pfeife entstanden. Zudem war er über diesen langen Zeitraum hinweg nicht unerheblich für das Entstehen einer Tradition des Bixlschindens an der Fachschule beteiligt. Sein Tätigkeitsschwerpunkt lag insbesonders in der Königsdisziplin der Büchslfertigung, dem Ausführen von Mascherln. Leo Eiginger trat 1993 in den Ruhestand.
Nachfolger vom Rankl Sepp in der Leitung der Glasmanufaktur wurde i.J. 1974 der 1933 geborene Max Straub, Vater der herausragenden Glasschneider und -schleifer Franz und Hannes. Ebenso wie sein Vorgänger Rankl kam Straub weit herum. Seine Lehre absolvierte er in der Glashütte Theresienthal, danach blies er in Glashütten in Salzburg, Kufstein, bei WMF und im Ruhrgebiet, bevor er 1956 eine Stelle in der Hütte Ludwigsthal annahm. Zur Glasfachschule kam er schließlich i.J. 1970, wo ihm 1974 die Leitung der Glaswerkstatt anvertraut wurde. Neben G‘schnürlten, optisch G‘staubten, Überfängen und Bixln mit Farbstifteffekten blieb er doch in erster Linie den Spezialitäten der Fachschule, den Filigrangläsern oder Mascherln, treu.
Nach dem frühen Tod von Max Straub 1980 trat der einmalige Richard Seidl, geb. 1939, seit 1977 in der Glaswerkstatt der GFS beschäftigt, in dessen Fußstapfen. Mit einem Satz gesagt: Seidl konnte Alles! Nicht nur, daß er alle Techniken beherrschte, er führte sie auch samt und sonders in 1A-Qualität aus. Mit seinen Mascherln, G‘rissenen, G‘schleuderten, bis zu 7-fach Überfängen und Reticelli-Gläsern eroberte er die Herzen der Sammler. 1999 verließ Richard Seidl die Fachschule und trat in den Ruhestand, um danach noch bis 2008 am Schauofen in Ludwigsthal zu schinden. Der hochgeachtete Bixlmacher wurde 3 mal mit dem „Gletscherprise-Preis“ der Schnupftabakfabrik Pöschl, Landshut, ausgezeichnet.
Von 1987 an fertigte auch der Glasmacher Manfred Pöschl, Jahrgang 1959, für etwa 10 Jahre an der Glasfachschule angestellt, geometrisch sehr exakte und farblich gut abgestimmte schöne Bixln, allerdings in geringer Anzahl, an. Der Schwerpunkt seiner glasmacherischen Tätigkeit lag auf anderem Gebiet. Nur wenige Büchsln von ihm befinden sich in Sammlerhand.
Der Nächste in der Reihe der GFS-Büchslmacher war Johann Riedel, geb. 1960. Nach mehr als 20-jähriger Anstellung in der Christinenhütte von Schott, Zwiesel, schloß er die Ausbildung zum Industriemeister Fachrichtung Glas erfolgreich ab und gehörte ab 1997 der Gilde der Glasmacher an der GFS Zwiesel an, wo er 1999 Richard Seidl ersetzte und die Tradition der Mascherl-Schinder weiterführte. Anno 2012 beendete Riedel seine berufliche Tätigkeit in der Glaswerkstatt.
Die 1990er Jahre bis zur Gegenwart war und ist die Zeit der Avantgardisten unter den Bixlschindern der Glasmanufaktur der Fachschule. Rainer Pscheidl, Thorsten Schubert und Alois Saller haben – jeder auf seine Weise – Verstaubtes abgestreift und den Filigrangläsern neuen Schwung verliehen.
Rainer Pscheidl, von den Dreien am längsten – seit 1981 – an der Fachschule beschäftigt, gilt als der „Muraneser“ unter ihnen. Er kam zunächst als Glasmacher – was er erlernt hatte –, legte 1986 erfolgreich die Prüfung zum Industriemeister Fachrichtung Glas ab und war ab sofort verantwortlich für die Glasschmelzen mannigfaltiger Rezepturen. Die Glasbläserei ließ ihn aber nicht aus ihren Fängen. Feinste Staberl legt er auf dem Schäuferl in ideenreicher und raffinierter Weise – oft in vertikaler und horizontaler Anordnung fürs selbe Bixl – an und gestaltet außergewöhnliche genabelte Glasl. Dazu kommt die Verarbeitung der Bixl in Umsetztechnik! Rainer Pscheidl wurde 8 mal der Pöschl Gletscherprise-Preis verliehen. Rekord!
Ähnliches gilt für den „Venezianer“ Thorsten Schubert, dessen berufliche Karriere 1979 in Weißwasser/Sachsen, der Heimat des Arsall-Glases, begann und ihn über die Annahütte im gleichnamigen Ort in der Lausitz und die Glasmanufaktur Harzkristall in Wernigerode nach Zwiesel führte. Hier bildete er sich zum Industriemeister Fachrichtung Glas weiter und erhielt 1993 eine Anstellung in der Glasfachschule. Das „Bixlmachen“ kannte der Sachse zunächst nicht, entwickelte sich aber rasch zu einem der Besten. Mit ausgefallen gestalteten Staberln designte er bis dahin nicht gesehene Glasl. Fischgrätmuster mit gerade und U-förmig angeordneten Glasstäbchen, sodann noch um 90° umgesetzt, verleihen seinen Tabaksbixln ein neues, modernes Erscheinungsbild und begeistern die Bixlliebhaber. Schubert erhielt den Gletscherprise-Preis 6 mal.
Last but not least hat der Industriemeister Glas Alois Saller nach 30jähriger Tätigkeit in verschiedenen Bereichen, zuletzt als Ausbilder, in der Riedlhütte und bei Nachtmann/Riedlhütte, im Jahr 1999 eine Anstellung in der GFS Zwiesel gefunden. Erst hier war er in größerem Umfang mit der „Bixlmacherei“ konfrontiert. Als erfahrener Glasmacher entwickelte er rasch eine eigene Handschrift und realisierte ausgefallene Ideen in mannigfaltigster Art und Weise. Saller gilt als der Experimentierfreudigste der „Großen Drei“. Mit seinen Faden-, Filigran-, Misch- und Umsetztechniken entzündete er ein Feuerwerk neuer Designs mit heiß verarbeitetem Glas. Alois Saller ist 2018 in den Ruhestand getreten.
Was diese Drei mit dem ältesten Kunststoff der Welt (neben Bronze) veranstaltet haben, wird sich so schnell – wenn überhaupt – nicht wiederholen. Bayerisch: „Hund sans scho!“.
Von keinem der hier genannten Glasmacher wurden je kalte Bearbeitungstechniken angewendet. Sie alle gestalteten Glasmacherbüchsel in ihrer reinsten Form.
Es bleibt inständig zu hoffen, daß die Tradition des Bixlschindens an der Glasmanufaktur der berühmten Glasfachschule Zwiesel weitergeführt werden kann und sich die Schulleitung immer bewußt ist, wieviel diese Glasmacher – nicht zuletzt durch ihre Schinderarbeiten – zum hohen Ansehen der Aus- und Fortbildungseinrichtung in der Bevölkerung und der Fachwelt beigetragen haben.
Im Januar 2021
PS: Für mehr Informationen über die Staatliche Glasfachschule Zwiesel verweise ich auf den Beitrag von Alfons Hannes in „Der Gläserne Wald“, Hrsg. Christiane Sellner, die Jubiläumsschrift „Glasfachschule Zwiesel 1904 – 2004, Herausgeber: Gesellschaft von Freunden der Glasfachschule Zwiesel“, die Website der GFS sowie das Buch „Schnupftabakgläser“ von Heiner Schaefer.
Nachwort
Ich freue mich sehr darüber, dass nun einmal ein weiterer Glasfreund zur Feder gegriffen und einen Beitrag für unsere Homepage verfasst hat.
Wir dürfen uns nicht selbst betrügen: Die Goldenen Zeiten sind vorbei und wie auch der Artikel von Karl zeigt, ist es an der Zeit, die zurückliegenden Leistungen einzuordnen und für die Nachwelt zu dokumentieren. Umso schöner, wenn dies nicht nur unser unermüdlicher spiritus rector Heiner Schaefer tut, sondern jeder einzelne Glasfreund seine persönlichen Begegnungen und Erlebnisse festhält.
Ich habe noch ein Bild vom Ofen der Glasfachschule beigefügt, das für mich Symbolcharakter hat! Es ist einsam geworden um Rainer Pscheidl. In mir wächst die Idee, etwas Besonderes zu gestalten, um diese einzigartige Folge großartiger Glasmacher in der Öffentlichkeit zu würdigen. Das kann eine tolle Aufgabe des Vereins für die kommenden Jahre sein und ich hoffe, viele von Euch können Beiträge liefern.
Über ein Echo auf den Artikel wird sich Karl sicher besonders freuen.
Holger Freese, Vorsitzender von "Netzwerk Tabakglas e.V"
Anm: Das Nachwort ist von der Website des "Netzwerk Tabakglas e.V", auf welcher dieser Beitrag ebenfalls veröffentlicht ist, übernommen.